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Mundhöhlenkeime: falsche Freunde des Herzens
von Hans Jörg Müllenmeister23.01.15 11:06:02
Diese reflexartige Nachfrage des Kardiologen kennt jeder herzinfarkt-gefährdete Patient: Rauchen Sie, treiben Sie Sport, haben Sie Übergewicht oder Diabetis und sind Sie erblich belastet? Die Frage nach Ihrem Zahn-Status, genauer nach einer schwelenden Zahnbettentzündung (Parodontitis) oder einer Zahnwurzel-Entzündung, (Pulpitis) dürfte dagegen
Seltenheitswert haben, und doch gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen gefährlichen Mikrosiedlern der Mundhöhle und der Herz- wie auch der Darmgesundheit.
Parodontitis: Ursache schwerer Erkrankungen
Vielfach ist eine marode Gesundheit der Mundhöhle die Wurzel schwerwiegender Volkserkrankungen; sie ist nicht allein der Auslöser für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch für Diabetes und Krebs. Diese bedeutsame Tatsache ist noch nicht ins kollektive Bewußtsein der Bevölkerung eingedrungen. Untersuchungen am Universitätskrankenhaus in Athen bestätigen: es gibt eine Verbindung zwischen Paradontitis und Schlaganfall. Patienten mit Parodontitis haben ein fast doppelt so hohes Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Eine Studie an der Zahnmedizinischen Fakultät der University of Alabama mit fast 1000 Teilnehmern ergab einen engen Zusammenhang zwischen krankhaftem Zahnverlust und nachlassenden kognitativen Fähigkeiten.
Gehen Sie davon aus, dass rund 50% der Bevölkerung chronische Paradontitis-Probleme in ihrem „Speisezimmer“ unwissend mitschleppt. Wären diese entzündeten Innenflächen der Zahnfleischtaschen zur Gänze sichtbar, sähen wir eine etwa handgroße offene hochentzündete Wunde. Dagegen würden wir bestimmt etwas unternehmen.
„Professionelle“ Zahnreinigung wiegt uns in Sicherheit
Vorsorglich können wir unsere Zähne einmal im Jahr vom Belag, dem Plaque „professionell“ reinigen lassen. In den heutigen Zahnarztpraxen überlässt diese Arbeit der Arzt gern seiner speziell dazu weitergebildeten Assistentin. Meist gleicht das eher einer semi-professionellen Reinigung. Allein die dazu aufgebrachte kurze Zeit und das benutzte Instrumentarium sind oft völlig unzureichend. Nicht einmal die Messung aller Zahntaschen geht der Prozedur voraus. Eine schwelende Parodontitis bleibt so unentdeckt. Auch würde erst eine Röntgenaufnahme zeigen, ob bereits die knöcherne Zahnsubstanz von tief sitzenden Paradontitiskeimen angegriffen ist. Der Patient glaubt durch diese Scheinbehandlung seiner Gesundheitsvorsorge genüge getan zu haben; er nimmt sogar an, einer chronischen Parodontitis entkommen zu sein. Meist ist das ein gefährlicher Trugschluss. Hat sich erst einmal ein schwelender Prozess im „Untergrund“, also tief in den Zahntaschen eingenistet, kann eine bloße Zahnhalsreinigung kaum etwas ausrichten. Man wähnt sich in trügerischer Sicherheit und verschleppt die eigentliche Ursache für ein späteres weitreichendes, nicht erkanntes Krankheitsbild ‒ und das mit ruhigem Gewissen. Übrigens ist eine einmal vorhandene Parodontitis allein durch häusliche Mundpflege nicht mehr zu heilen.
Offen gesagt: Gehen Sie eher gleich zum Schmied, nicht zum Schmiedchen, suchen Sie einen Parodontologen auf ‒ so heißen die Spezialisten des relativ jungen Berufbilds. Seine Privat-Leistung, die der wahren Prophylaxe dient, zahlt die Krankenkasse nicht. Bekanntlich regen sich ja die Kassen erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, also bei einer fälligen Zahnprothese. Die Investition für Ihre Gesundheit lohnt sich aber, auch wenn sich die gesamte Therapie über mehrere Monate hinziehen kann und diese gern mal das Dreizigfache der „professionellen“ Reinigung kostet. Beide Leistungen werden von der Krankenkasse nicht übernommen.
Prophylaktisch: besser „Ölziehen“ als Zähne ziehen
Steht es um Ihren Zahnstatus aber gut, dann können Sie vorsorglich etwas unternehmen. Mit bloßem Zähneputzen erreicht man bekanntlich nur 60% der Zahnflächen und 10% der gesamten Mundhöhle. Übrigens sollten Sie alle zwei Monate Ihre Zahnbürste aus hygienischer Sicht (Keimansiedelung) wechseln. Und reinigen Sie vor allem die Zahnzwischenräume mit Interdental-Bürstchen durch vorsichtiges Hin- und Herbewegen. Ergänzen Sie Ihre Zahnpflege durch tägliche Mundspülung, z.B. mit kolloidalem Silber. Auf diese Weise hemmen Sie das Wachstum bakterienbildender Zahnbeläge, den Plaques.
In der Naturheilkunde hat das „Ölziehen“ lange Tradition. Das antibakteriell wirkende Ölziehen packt gesundheitliche Gefahren fast im Sinne des Wortes an der Wurzel. Es macht pathogene Bakterien, Viren, Pilze und Giftstoffe, die sich im Mundraum zwischen den Zähnen ansiedeln den Garaus. Indes erreicht aber das Öl nicht die tief liegenden Zahnfleischtaschen. Aus den Verstecken des maroden „Speisezimmers“ wandern Millionen pathogener Mikroorganismen über die Blutbahn (Herdinfektionen) in andere Bereiche des Körpers. So konnte man verschleppte Parodontitis-Keime in Plaques der Hals- und Herzarterien und in der Aorta nachweisen.
Und so funktioniert die Ölziehkur: Man kaut und saugt kaltgepresstes Öl (ich verwende Sacha Inchi-Öl aus Peru) durch den Mundraum. Nach einigen Minuten spuckt man diese jetzt milchig gewordene Ölsuppe, angereichert mit lauter Keimen, komplett wieder aus. Vermutlich stammt die Ölziehkur aus dem Ayurveda, der Jahrtausende alten indischen Heilkunst. Dort schwört man auf gereiftes Sesamöl. Auch den Schamanen in Russland und der Ukraine soll die positive gesundheitliche Wirkung des Ölziehens mit Sonnenblumenöl seit Jahrhunderten bekannt sein.
Was ist eine Zahnfleischentzündung (Parodontitis)?
Diese Volkskrankheit, umgangssprachlich Parodontose, ist eine bakterielle Erkrankung des Zahnhalteapparates. Sie schädigt sowohl das Weichgewebe (Zahnfleischtaschen) als später auch den umgebenen Kieferknochen. Zerstörter Knochenabbau erhöht die „Zahnmobilität“: Die betroffenen Zähne werden zu Wackelkandidaten, die später ausfallen können. Dabei gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Taschentiefe und Keimkonzentration aller krankheitserregenden Mikroorganismen. In Taschentiefen von über 6 mm finden sich besonders in hoher Keimkonzentrationen gefährliche sogenannte Bakterien-Spätbesiedler.
Bei der Parodontitis kommt es zu einer Wechselbeziehung zwischen Mikroorganismen und der Immunabwehr des Wirts, also des Zahnfleischs. Dabei verschiebt sich das mikrobielle Keim-Spektrum in der Mundhöhle.
Die chronische Parodontitis tritt im fortgeschrittenen Alter auf; sie ist meist schmerzfrei und kann mit Blutung einhergehen. Parodontaltaschen entstehen einerseits direkt durch Mikroorganismen, zum anderen durch schädliche Nebenwirkungen der Entzündungsreaktion, mit der unser „Zahnfleisch-Wirt“ auf Zahnbelag, dem Plaque reagiert. Vorläufer der chronischen Parodontitis ist eine Zahnfleischentzündung, eine Gingivitis, verursacht eben durch Plaque. Sie äußert sich in einer schmerzfreien, blutende Gewebevergrößerung (Hyperplasie).
Üble Mitspieler auf dem Bakterienrasen
An die 800 verschiedene, meist noch unbekannte Bakterienarten tummeln sich in unserer Mundhöhle. Einige davon sind friedlich, andere gefährlich und entzündungserregend: In den Grüften der Zahntaschen treibt z.B. das Bakterium Porphyromonas gingivalis sein Unwesen. Dieser Entzündungserreger dringt als ungebetener Wanderbursche über den Blutkreislauf in weitere Gefäße des Körpers ein. Dazu braucht er nicht einmal Sauerstoff zum Überleben, denn er ist anaerob. Dabei hemmt er den ständigen Reparaturprozess der Gefäßwände. Das Bakterium erhöht den oxidativen Stress. Das fördert arteriosklerotische Ablagerungen, die bekanntlich die Gefäßwände verengen. Das kann zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Man konnte aber nachweisen, dass sich die Elastizität der Blutgefäße nach einer erfolgreichen Paradontitis-Behandlung verbessert.
Weitere Mikroorganismen der Zahnfleisch-Erkrankung
Bei einer Parodontitis überwiegen die sogenannten gram-negativen Mikroorganismen.
„Gram“ steht für den Bakteriologen Hans Christian Gram. Er entwickelte eine differenzierende Färbemethode von Bakterien für die mikroskopische Untersuchung. Man unterscheidet gram-positive und gram-negative Bakterien. Nur soviel: Der „rote Teufel“ unter den Mikroben ist z.B. Tannerella forsythia; er gehört zum roten Komplex, dem „A“-Komplex. Weniger schädlich sind Individuen des blauen oder gelben Komplexes (Frühbesiedler).
Einige dieser Mikroorganismen sind fähig, die Immunantwort des Wirts zu umgehen. Sie dringen in Zellen des parodontalen Gewebes ein. Die Folge ist eine starke entzündliche Wirtsreaktion, die schließlich das parodontale Gewebe selbst zerstört. Die „Bakterien-Festung“ in den Zahntaschen ist eine selbstorganisierte mikrobielle Gemeinschaft, die sich schrittweise in einer Matrix aus Ketten- oder verzweigten Molekülen bildet und weiterentwickelt (s. Bericht „Biofilm, raffinierter Lebensraum kluger Bakterien“).
Beispiele: Actinobacillus actinomycetemcomitans gilt als „Anstifter“ für die aggressive Parodontitis; er unterstützt die Keimbesiedlung und befähigt seine Kollegen, die Wirtsabwehr zu überwinden. Porphyromonas ginigvalis setzt eine Vielfalt von Enzymen, Proteinen und andere Stoffwechselprodukte frei. Diese stimulieren die Immunantwort des Wirts und lösen den Entzündungsprozess aus. Spezielle Enzyme und Bakteriengifte zerstören direkt das Gewebe. In der eingeschworenen Keim-Gemeinschaft des Biofilms verursacht der gram-negative Spätbesiedler Tannerella forsythia schwere Formen der Parodontitis, besonders die chronische Form.
Therapie-Sitzungen beim Parodontologen
Ziel ist es, den Entzündungszustandes von Zahnfleisch und Zahnhalteapparat zu stoppen. Plaque und Zahnstein müssen akkurat beseitigt werden, da sich die pathogene Bakterienflora nur auf diesem Wege verdrängen lässt. Zunächst prüft der Parodontologe die Zahnfleischtaschentiefen mit der WHO-Sonde; sie ist an der Spitze kugelförmig und enthält Tiefenmarkierungen. Taschen, die tiefer als vier Millimeter sind, deuten darauf hin, dass sich der Zahnhalteapparat schon verändert hat und kränkelt.
Mit dünnen Papiersonden (Papierspitzen) entnimmt er Keimproben aus den Zahnfleischtaschen. Die werden in einem Labor gentechnisch untersucht, um die Keimbesiedelung des Biofilms festzustellen. Es wäre aber sinnlos, die Infektion bloß mit Antibiotika zu therapieren, ohne vorherige Zahnreinigung. Effektiv ist das gute alte Handwerkszeug, die Kürette, eine Art Schaber, mit dem der Zahnstein restlos abgekratzt wird. Erst wenn das geschehen ist, kann man den Parodontitiskeimen mit Ultraschall, mit einem Wasserstrahl oder mit einem Erbium-YAG-Laser zu Leibe rücken. Die Bakterien sind nämlich in ihrem Biofilm vor dem Angriff des antibiotischen Medikaments nahezu vollkommen geschützt. Erst ein zerstörter Biofilm macht die Bakterien für Antibiotika zugänglich.
Zahnwurzelentzündung
Eine unbehandelte, tiefe Karies ist häufig Ursache einer Zahnwurzelentzündung, denn der Kariesbefall „arbeitet“ sich mit der Zeit in die Zahntiefe vor. Dort schädigt er das Zahnmark, die Pulpa, und die darin eingelagerten Nervenfasern.
Die Entzündung betrifft Teile des Zahnmarks und ist sehr schmerzhaft, denn die Pulpa ist von feinen Nervenfasern durchzogen. Dieses Bündel verläuft im Zahninneren durch Wurzelkanäle bis zur Wurzelspitze. Dort treten die Gefäße und Nerven aus und münden in den Kieferknochen. Werden die Kariesbakterien nicht frühzeitig bekämpft, zerstören sie den Zahn Schicht für Schicht, bis die Keime zur Wurzelspitze vordringen und sich weiter im Körper ausbreiten.
Behandeln der Zahnwurzelentzündung beim Endodontologe
Haben sich Teile des Zahnmarks entzündet, ist eine Wurzelkanalbehandlung angesagt. Dazu bohrt (trepaniert) der Endodontologe (Spezialist für das Zahninnere) den betroffenen Zahn auf und entfernt das Zahnmark und die Nervenfasern durch feine unterschiedlich dicke Wurzelfeilen. Mit winzigen Instrumenten reinigt er die Wurzelkanäle und spült sie mit einer antibakteriellen Lösung, etwa mit Wasserstoffperoxid. Es ist sehr wichtig, dass die Wurzelkanäle frei von Keimen sind. In einer weiteren Sitzung nach einigen Tage beginnt das Trockenlegen und Füllen der Zahnwurzeln. Sobald diese keimfrei und trocken sind, werden die hohlen, erweiterten Zahnwurzeln mit einem kautschukähnlichen Material aus Guttapercha und einem Dichtezement gefüllt und verschlossen. Es folgt noch eine Röntgen-Kontrollaufnahme, die überprüft, ob die Wurzeln bis zur Spitze (Apex) gefüllt sind.
Autobiografisches: Als mein Herz aus dem Rhythmus geriet
Nicht nur verschleppte Keime aus den Zahntaschen können das Herz schädigen, auch eine krankhafte Darmflora kann auf die Herzmotorik einwirken.
Bisher sprachen wir über die kleinen Bösewichte, die in Zahntaschen ihr Unwesen treiben und die sich im Körper ausbreiten können. Ob ich vor Jahren meinen Herzinfarkt ursächlich einer schwelenden Parodontits zu verdanken hatte – trotz guter Lebensführung – ist unklar. Fest steht aber, dass sich Jahre danach Herzrhythmusstörungen einstellten – ausgelöst durch einen Defekt der Erregungsleitung im Schrittmacherzentrum, dem AV-Knoten (Atrio-Ventrikulär-Knoten) des Herzens. Wieder bekam ich in der Klinik reflexartig die Medikamente verschrieben, die ich schon seinerzeit nach dem Infarkt trotzig durch das Naturheilmittel Strophanthin aus einem afrikanischen Lianengewächs (s. Bericht „Strophanthin, das vergessene Herz-Ass“) ersetzt hatte. Zusätzlich nahm ich Weißdorn und Magnesium. Sei's drum, der unregelmäßige Rhythmus blieb.
Außerdem quälten mich seit langem schon heftige Flatulenzen (Darmwinde), die sich immer kurz nach dem Essen Luft verschafften. Gab es da einen Zusammenhang zwischen Darm und Herz?
Das absolute Paradies für eine billionenfache Bakterien-Besiedelung ist bekanntlich der Dickdarm. Vielleicht gab es „unanständige“ Mikroben, die als Stoffwechselprodukt heftige Gasbomben ausstießen. Schlimm war, dass der ständig aufgeblähte Bauch schmerzhaft über das Zwergfell auf Herz und Lunge drückte (Meteorismus).
Der mikrobiologische Laborbefundberich des „Darm-Sitzmöbels“ förderte Erstaunliches zu Tage: Durchaus angenehme Besiedler des Dickdarms wie Escherichia colides, Enterococcus spec. und Bifidobakterium spec. waren im Dickdarm eher dünn gesäht (vermindert um Faktor 100 bis 1000). Diesen Mangel konnte ich aber durch Gaben von probiotischen Bakterienstämmen beseitigen.
Der therapeutische Erfolg gelang aber erst, als ich mit dem Mixer aus frischem Gemüse ‒ angereichert mit Kräutern und Ingwer ‒ täglich zum Frühstück einen Püree (Neudeutsch Smoothies) mischte und ins Joghurt verrührte. Diesem Brei gab ich noch etwas Curcuma und Sacha Inchi-Öl hinzu (s. Berichte „Curcumin: der heilende Sekundär-Pflanzenstoff“ und „Die Inka-Nuss: das flüssige Urwaldgold“). Die Gasentwicklung war wie weggeblasen! Das Bauchdrücken ging zurück und merkwürdig: Mit der Zeit verschwand auch die Herzrhythmusstörung, die ich sonst beim Blutdruckmessen feststellte. Anscheinend war der ständige Druck aufs Herz der eigentliche Auslöser für meine Herzrhythmusstörung. Erst neulich fand ich diesen Zusammenhang in der medizinischen Fachliteratur bestätigt. Da spricht man vom Roermheld-Syndrom. Mein ungläubiger Magen-Darmtrakt-Spezialist (Gastroenterologe) meinte zu meiner „Gemüsebrei-Therapie“, dass sie sich eher blähend auswirken müsste. Vielleicht hatte er bei seiner Betrachtung die Kraft der sekundären Pflanzenstoffe eines Frischgemüses unterschätzt. Die bayerische Volksweisheit “Wenn's Arscherl brummt, ist Herzerl g'sund“, gewinnt da eine ureigene Bedeutung.
© Hans-Jörg Müllenmeister