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Die „Intellektuellen-Idioten“
von Wolfgang Arnold09.01.17 18:37:37
Der Philosoph Nassim Nicholas Taleb (The Black Swan) hat nach Trumps Wahlsieg einen Artikel über „Intellektuellen-Idioten“ geschrieben. Darin betrachtet er die jüngsten politischen Ereignisse als Aufstand der Normalbürger gegen die Intellektuellen – ein Aufstand, der gerade erst begonnen habe.
Schwere Kost – aber gut! Gefunden bei PROPAGANDAFRONT am 30. September 2016 (Kommentarspalte 194)
„The Intellectual Yet Idiot“ (IYI) (Intellektuell, aber doof)
von Nassim Nicholas Taleb, 16.09.2016 (aus seinem fortlaufendem Werk „Skin in the Game“) Lesedauer 6 Minuten
Was wir weltweit erleben, von Indien über Großbritannien bis in die USA, ist die Revolution gegen diesen inneren Zirkel aus politischen „Buchhaltern“ und journalistischen Insidern, die „gar nicht beteiligt sind“. Diese Klasse von patriarchalischen halb-intellektuellen Experten aus irgendeiner Eliteuniversität, Oxford-Cambridge, oder einer anderen „der Name macht’s“-Erziehung, die dem Rest von uns vorschreiben will 1) was wir tun sollen 2) was wir essen sollen 3) wie wir reden sollen 4) wie wir denken sollen (Anm.d.Ü.: schönen Dank für die „staatlichen Richtlinien entsprechenden Gedankengänge“ des Herrn Maas) … und 5) wen wir wählen sollen.
Lesempfehlung
Narren des Zufalls
Taleb, Nassim Nicholas
Das Problem ist, dass der Einäugige dem Blinden folgt: Diese selbsternannten Mitglieder der „Intelligentsia“ könnten auf Coconut Island keine Kokosnuss finden. Soll heißen, sie sind nicht intelligent genug um Intelligenz zu definieren und sie landen immer bei Zirkelschlüssen – aber ihre größte Begabung ist die Fähigkeit Examen zu bestehen, die von Leuten wie ihnen formuliert wurden. Psychologische Schriften, die sich nur zu 40% bestätigen, veränderte Diätanweisungen nach 30 Jahren Fettphobie, makroökonomische Analysen mit schlechterer Trefferquote als Astrologie, die Ernennung von Ben Bernanke, der von den Risiken überhaupt keine Ahnung hatte und pharmazeutische Versuche, die sich bestenfalls zu 30% replizieren lassen: Da haben die Menschen jedes Recht darauf, sich auf ihren gesunden Hausverstand zu verlassen und auf ihre Großmutter zu hören (oder auf Montaigne und so filtriertes klassisches Wissen). Die haben eine bessere Erfolgsbilanz als diese trotteligen Politentscheider.
Ja man sieht dass diese akademischen Bürokraten, die glauben unser Leben bestimmen zu können, nicht einmal stringent sind, sei es bei medizinischen Statistiken oder in der Politik. Sie können Wissenschaft nicht vom Szientismus unterscheiden – in ihren Augen sieht Szientismus sogar wissenschaftlicher aus als echte Wissenschaft.
(Beispielsweise ist es banal, das Folgende zu zeigen: Vieles was Typen wie Cass Sunstein oder Richard Thaler (Anm.d.Ü.: „Verschwörungshetzer“) – jene die uns in ein bestimmtes Verhalten „zwingen“ wollen – vieles was sie als „rational“ oder „irrational“ einstufen würden (oder ähnliche Kategorien, die eine Abweichung von einem erwünschten oder vorgeschriebenen Protokoll anzeigen) kommt aus ihrem Missverständnis der Wahrscheinlichkeitstheorie und dem schönfärbenden Gebrauch der Modelltheorie.)
Und sie sind auch anfällig dafür, das Ensemble für lineare Aggregation mit ihren Komponenten zu verwechseln, wie wir in dem Abschnitt über die Herrschaft der Minderheiten gesehen haben.
Lesempfehlung
Antifragilität
Taleb, Nassim Nicholas
Der „Intellectual Yet Idiot“ (IYI) ist ein Produkt der Moderne, und sie nimmt seit Mitte des 20. Jahrhunderts an Fahrt auf. Sie hat heute ihren momentanen Höhepunkt erreicht, zusammen mit einer breiten Palette aus Menschen ohne Beteiligung, die in viele Bereiche unseres Lebens eingedrungen sind. Warum? Ganz einfach, in den meisten Ländern ist die Rolle der Regierung fünf bis zehnmal so hoch wie vor einem Jahrhundert (ausgedrückt in Prozent vom BIP). Der IYI ist in unserem Leben omnipräsent, aber noch ist er eine kleine Minderheit und wird selten außerhalb spezieller Firmen, Denkpanzer, Medien und Universitäten gesehen – die meisten Leute haben anständige Jobs und das macht es für den IYI nicht leicht.
Hüte dich vor dem Halb-Gebildeten der sich für einen Gebildeten hält. Er schafft es nicht, auf natürliche Weise Sophisterei zu erkennen.
Der IYI hält Dinge, die andere tun und er nicht versteht, für krank. Ohne zu erkennen, dass seine Einsichten limitiert sein könnten. Er denkt, die Menschen sollten nach ihrem besten Interesse handeln und nur er kenne ihre Interessen, besonders wenn es um die Arbeiterklasse geht oder nuschelnde Engländer die für den Brexit stimmten. Wenn der Pöbel etwas tut, das für den Pöbel einen Sinn ergibt, nicht aber für ihn, dann benutzt der IYI das Wort „ungebildet“. Wenn wir Mitbeteiligung im politischen Prozess wollen, dann hat er dafür zwei Bezeichnungen: „Demokratie“ wenn es dem IYI passt, und „Populismus“ wenn der Pöbel es wagt, seiner Wahlempfehlung zu widersprechen. Die reichen Leute glauben an „ein Steuerdollar, eine Stimme“, eher humanistische eingestellte an „ein Mensch, eine Stimme“, Monsanto an „ein Lobbyist, eine Stimme“, und der IYI an „ein Elitehochschuldiplom, eine Stimme“. Gleichwertig sind noch ein paar ausländische Eliteschulen und Doktorgrade, denn die werden in ihrem Klub benötigt.
Soziologisch gesehen ist der IYI ein Abonnent des „The New Yorker“. Er flucht nicht auf Twitter. Er redet von der „Gleichberechtigung der Rassen“ und von „wirtschaftlicher Gleichberechtigung“, aber einen Taxifahrer aus einer Minderheit hat er noch nie auf einen Drink eingeladen (nochmal: er ist ja unbeteiligt, dieses Konzept ist für einen IYI fremd). Die in Großbritannien wurden von Tony Blair mitgenommen. Der moderne IYI war bei mehr als einem TEDX talk persönlich und er hat mehr als zwei davon auf Youtube angeschaut. Er wählt Hillary Monsanto-Malmaison nicht nur weil sie so wählbar erscheint und aus Zirkelschlussgründen, er vertritt die Meinung, dass jeder der das nicht tut, krank im Kopf ist.
Der IYI hat ein Exemplar der gebundenen Erstausgabe von „The Black Swan“ in seinem Bücherschrank, aber er verwechselt das Fehlen von Beweisen mit dem Beweis für das Fehlen. Er glaubt dass GMO „Wissenschaft“ sei, dass diese „Technologie“ sich nicht von konventioneller Zucht unterscheidet. Das kommt davon wenn man bereit ist Wissenschaft mit Szientismus zu verwechseln.
In aller Regel bekommt der IYI die Modelltheorie der ersten Ordnung noch hin, aber die Effekte der zweiten Ordnung (oder höher) machen ihn in komplexen Angelegenheiten völlig inkompetent. In seinem gemütlichen Vorstadthaus mit Doppelgarage wirbt er für die „Beseitigung“ von Gaddafi, weil der ein „Diktator“ sei. Dabei bedenkt er nicht, dass solche Beseitigungen Folgen haben (nochmal: er ist da unbeteiligt und muss auch nicht für die Folgen zahlen).
Lesempfehlung
Die Steinzeit-Diät
De Vany, Arthur und Nassim Talib
Historisch gesehen irrte der IYI zum Stalinismus, Maoismus, GMOs, Irak, Libyen, Syrien, Lobotomie, Stadtplanung, Kohlehydrat-arme Diät, Trainingsgeräten, Verhaltensforschung, Transfette, Freud, Portfolio-Theorie, lineare Regression, Gaussianismus, Salafismus, dynamisch stochastische Gleichgewichtsmodelle, sozialem Wohnungsbau, egoistischen Genen, Bernie Madoff (vor dem Platzen) und p-Werten. Aber er ist überzeugt, dass seine jetzige Position richtig ist.
Der IYI ist Mitglied in einem Klub mit Reiseprivilegien. Ist er Sozialwissenschaftler, dann benutzt er Statistiken ohne zu wissen wie sie abgeleitet wurden (so wie Stephen Pinker und die Psychoschwadronierer allgemein). Wenn er in Großbritannien ist, dann besucht er die Literaturfestivals. Zu seinem Steak trinkt er Rotwein (niemals Weißen). Früher dachte er, Fett sei schädlich, und jetzt ist es genau andersrum. Er nimmt Cholesterinsenker weil es ihm sein Doktor empfohlen hat. Ergodizität versteht er nicht und wenn man es ihm erklärt, dann hat er es bald wieder vergessen. Jiddische Wörter benutzt er nicht einmal wenn er übers Geschäft redet. Er studiert Grammatik bevor er eine Sprache spricht. Er hat einen Cousin der mit jemandem arbeitet der die Königin kennt. Er hat noch nie Bücher von Frederic Dard, Libanius Antiochius, Michael Oakeshot, John Gray, Amanius Marcellinus, Ibn Battuta, Saadiah Gaon oder Joseph de Maisrte gelesen. Er hat sich noch nie mit Russen betrunken. Er war noch nie so besoffen dass er Gläser zerschlagen hätte (oder besser noch Stühle). Er kennt nicht den Unterschied zwischen Hekate und Hekabe (auf Brooklynesisch heißt das „can’t tell shit from chinola“). Er weiß nicht, dass es zwischen “pseudo-intellektuell“ und „intellektuell“ keinen Unterschied gibt wenn man an nichts beteiligt ist. Und er hat in den letzten fünf Jahren bei Unterhaltungen mindestens zweimal die Quantenmechanik erwähnt, auch wenn es nicht um Physik ging.
Er weiß zu jedem Zeitpunkt, wie sich sein Reden und Handeln auf seine Reputation auswirkt.
Noch einfacheres Erkennungsmerkmal: er ist kein Gewichtheber.
Postskriptum:
Aus den Reaktionen auf mein Stück ersehe ich, dass der IYI Schwierigkeiten hat, beim Lesen zwischen dem Satirischen und Wortwörtlichen zu unterscheiden.
Postpostskriptum:
Der IYI denkt, diese Kritik an den IYIs bedeute, dass „jeder ein Idiot“ sei. Dabei erkennen sie nicht, dass sie, wie gesagt, eine kleine Minderheit sind – aber sie mögen es nicht wenn ihre Ansprüche herausgefordert werden. Und obwohl sie den Rest der Menschheit als Untergebene behandeln, so mögen sie es nicht, wenn sich der Wasserschlauch einmal in die andere Richtung dreht (die Franzosen nennen es arroseur arrosee = Beißer).
(Beispielsweise hat Richard Thaler, der Partner des gefährlichen GMO-Advokaten und Oberzwinger Cass Sunstein das Stück so interpretiert: „Es gibt nicht viele Nicht-Idioten die nicht Taleb heißen“. Dabei erkennt er nicht, dass Menschen wie er weniger als 1% oder gar nur 0,1% der Bevölkerung ausmachen.)
Anmerkung: Dieser Aufsatz darf von jedem reproduziert, übersetzt und veröffentlicht werden, unter der Bedingung das er vollständig ist und erwähnt, dass er ein Auszug aus „Skin in the Game“ ist.
1 Kommentar
Schöne Grüsse aus der http://www.freidenker-galerie.de
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