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Schöpfer des Schuldkults
von Wolfgang Arnold11.01.17 21:09:40
Als der württembergische Bischof und designierte Vorsitzende der im Entstehen begriffenen Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Theophil Wurm, bei seinen Verhandlungen mit den Westalliierten am 22. Juni 1945 in Frankfurt am Main als oberstes Ziel kirchlicher Bemühungen die "Re-Christianisierung des deutschen Volkes" nannte, stieß er bei den Angloamerikanern auf begeisterte Zustimmung.
Karlheinz Weissmann über das Buch von Karl Richard Ziegert mit dem Titel Zivilreligion - Der protestantsiche Verrat an Luther über die Rolle des bundesdeutschen Protestantismus nach 1945 als Hüter einer neuen Zivilreligion.
Zivilreligion ist ein schillernder Begriff. Das hat damit zu tun, daß Zivilreligion zu den Erscheinungsformen Politischer Theologie gehört. Auch Politische Theologie ist ein schillernder Begriff, aber doch insoweit abgrenzbar, als sie einen Zusammenhang zwischen bestimmten politischen und bestimmten theologischen Vorstellungen behauptet. Normalerweise kommt die Theologie dabei nur indirekt zur Geltung, als Spät- oder Nachwirkung.
Schon aus diesem Grund ist die Untersuchung von Karl Richard Ziegert so bemerkenswert, weil es in ihr darum geht, den direkten Einfluß von Theologie und Theologen auf die Entstehung, Ausbildung und Durchsetzung der deutschen Zivilreligion nach 1945 nachzuzeichnen, in deren Zentrum die Kollektivschuldthese steht.
Dem Leser mutet der Verfasser einen Anmarsch von erheblicher Länge und einer gewissen Beschwerlichkeit zu, wenn es darum geht, seine Ansicht zu untermauern, daß die Vorstellung von der „Singularität“ der Judenvernichtung in der NS-Zeit und der Notwendigkeit ewiger Buße nicht einfach auf die Einflußnahme linker Intellektueller oder alliierter Reeducation zurückzuführen sei, sondern auf ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, zu deren wichtigen der deutsche Protestantismus gehörte.
Karl Richard Ziegert Zivilreligion - Der protestantsiche Verrat an Luther
Dieser Protestantismus, so Ziegert, habe sich bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in einer Phase der Desorientierung von seinem älteren liberalen Programm abgewendet, das die Gewissensfreiheit und Glaubensüberzeugung des Individuums sowie die Geschichtlichkeit der Glaubensform betonte, um jetzt einen Geltungsanspruch gegenüber Staat und Gesellschaft zu behaupten, der sich als „übersäkular“ verstand, faktisch aber auf einen evangelischen Klerikalismus hinauslief. Daß die Vorstellung vom „Bund zwischen Nation und Altar“ auf seiten der Rechten mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu triumphieren schien, dürfe jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich parallel auf der Linken ein Programm etabliert hatte, das etwa durch die Formel „Bund zwischen Sozialismus und Altar“ zu charakterisieren wäre.
Die Strukturgleichheit zwischen beiden führte nach Ziegert zu der bizarren Situation, daß sich die Bekennende Kirche unter dem Einfluß ihres Lehrmeisters Karl Barth nach 1933 gar nicht prinzipiell gegen den totalitären Staat wenden konnte, dessen Anspruch – auf vollständige Erfassung und Durchdringung – sie prinzipiell anerkannte. Was auch erklärte, warum nach 1945 ein so zügiger Frontenwechsel möglich war, man sich für den Preis der Umdeutung des Kirchenkampfs zum politischen Widerstand dem Verlangen der angelsächsischen Siegermächte unterwarf und die lutherische Zwei- Reiche-Lehre vollständig aufgab, um nun nicht mehr dem diktatorischen, sondern dem demokratischen System als legitimatorische Kraft zur Verfügung zu stehen.
Hein Navratil: Der Kult mit der Schuld
Die von Barth aus dem Calvinismus abgeleitete Idee vom Vorrang der „Christengemeinde“ gegenüber der „Bürgergemeinde“ war dabei aber nur die Schauseite des Geschehens. Dahinter verbarg sich ein kompliziertes, bis heute von offizieller Seite sorgsam kaschiertes Zusammenspiel zwischen Barth und dem amerikanischen wie dem britischen Geheimdienst, dem entsprechend durchsetzten Ökumenischen Kirchenrat (dessen Generalsekretär Visser’t Hooft Agent des OSS war) und den militärischen Stellen der Sieger.
Die köderten die evangelische Kirchenleitung, die sich gerade restituierte und durchaus um ihre „Verstrickung“ wußte, mit einer Art großem Persilschein, wenn sie im Gegenzug die deutsche Kollektivschuld anerkannte. Genau das geschah mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 18. und 19. Oktober 1945. Alle späteren Versuche, die Behauptungen dieses Textes zurückzunehmen oder doch zu relativieren, sind gescheitert.
Und der Stolz, mit dem das kirchliche Establishment auf seine Magna Charta Bezug nimmt, zeigt um so deutlicher, daß man sich dessen zentraler Rolle für die Position des deutschen Nachkriegsprotestantismus bewußt ist. Denn der sukzessive Bedeutungsverlust als religiöser Faktor schien mehr als aufgefangen durch den Erfolg, mit dem sich die evangelische Kirche ein „Wächteramt“ anmaßte, das es ihr erlauben sollte, der Gesellschaft im Moralischen und dem Staat im Politischen Vorschriften zu machen. Gemäß einer tendenziell theokratischen Konzeption galt die Kirche nicht nur als Repräsentantin des Christentums, sondern vor allem als Hüterin der „Werte“.
Die innere Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit dieses Konzeptes muß hier nicht eigens deutlich gemacht werden. Wichtig ist aber der außerordentliche Erfolg, den die neue Art protestantischer Einflußnahme hatte, vor allem nachdem weltliche „Plagiatoren“ dieses theologischen Konzepts wie Jaspers, Adorno, das Ehepaar Mitscherlich oder Habermas die Möglichkeiten erkannten, die sich bei einem Zusammenspiel boten, um die eventuell noch Widerspenstigen zu zähmen, oder – wie es Peter Sloterdijk treffend formulierte – dem „sozialen Tod“ preiszugeben.
Ziegert zeichnet auch die einzelnen Phasen dieses Prozesses nach: von der linken Kulturrevolution in den sechziger Jahren über die zentrale Bedeutung der Rede Richard von Weizsäckers zum 8. Mai 1985 bis zum Entschluß zur Errichtung des Mahnmals für die ermordeten Juden im Zentrum Berlins. Dabei kommt er abschließend auch auf die heute ganz selbstverständlich genommene Tatsache, daß allein die deutsche Zivilreligion die Erinnerung an eine Schandtat zum zentralen Bezugspunkt macht und ihr den großen „Altar“ weiht, während jede andere Nation selbstverständlich ihre Ruhmestaten und ihre Helden in den Mittelpunkt des politischen Kultus stellt.
Dieser deutsche „Sonderweg“ ist, folgt man Ziegert, nichts als der Ausfluß eines „Gesellschaftsglaubens“, der seinen Ursprung in jenem von der evangelischen Kirche geförderten „Staatsidealismus“ hat, der dem Staat gerade nicht geben will, was des Staates ist, sondern „immer mehr theokratische Begriffe in den politischen Jargon einverleibte – mit heute noch kaum analysierten Folgen“.
Quelle: Junge Freiheit vom 11.10.2013
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