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Prekariat und Mittelschicht auf Augenhöhe
von Wolfgang Prabel 30.08.14 21:40:20
Natürlich lohnt sich Arbeit, denn Müßiggang ist aller Laster Anfang. Aber wie man arbeitet, darauf kommt es an.
Der eine hat ein festes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, wird soziologisch also der Mittelschicht zugeordnet. Andere improvisieren und werden gern als Prekariat abgetan.
2013 betrug der durchschnittliche Bruttoarbeitslohn in Deutschland 31.089 €. Das sind 2.591 € im Monat. In diesem Durchschnitt enthalten sind auch Teilzeitbeschäftigungen, jedoch keine geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Der Nettodurchschnittslohn in der Steuerklasse 1 beträgt 1.686 €, also 65 % vom Brutto. Die 35 % Schwund sind etwa 15 % Lohnsteuer und 20 % Sozialabgaben.
Doch danach geht die Besteuerung erst richtig los. Es gehen etwa 110 € Umsatzsteuer ab, wenn man das Geld ausgibt. Bei der Umsatzsteuer handelt es mit 7 % sich um einen Durchschnittswert aus verschiedenen Steuersätzen: Regelsteuersatz 19 %, ermäßigter Satz 7 % und steuerbefreite Leistungen (z.B. Miete, Gesundheitsleistungen...). Dazu kommen durchschnittlich 25 € Verbrauchssteuern, 13 € Versicherungssteuer, 13 € Grundsteuer, und 57 € Strom- und Energiesteuern. Weiterhin muß man noch 20 € Kfz-Steuer und 18 € Rundfunksteuer entrichten. Nach dieser Steuerorgie verbleiben 1.430 €. Das sind nur noch 55 % vom Brutto.
Nun kommen weitere versteckte Steuern dazu: etwa 16 € EEG- und KWK-Umlage, 3 € Konzessionsabgaben der Energieerzeuger an die Gemeinden, etwa 14 € Lkw-Maut und etwa 50 € an Kommunalabgaben, wie Grundgebühren für Wasser und Abwasser, Rauchfangkehrer und Müllgebühr sowie Parkgebühren. Wenn man sich nicht noch Knöllchen einhandelt, der TÜV gerade nicht fällig ist, man keine Verwandten auf dem Friedhof liegen hat und die Straße vor dem Haus selber kehrt verbleiben 1.347 €. Das sind noch 52 % vom Brutto.
Nun nehmen wir mal an dieser Steuerpflichtige ist Raucher. Pro Schachtel Zigaretten beträgt die Tabaksteuer etwa € 2,73. Für 30 Schachteln Zigaretten im Monat fallen 82 € Tabaksteuer an. Bleiben 1265 €. Das sind 49 % vom Brutto. Das sind für etwa 160 Stunden Arbeitszeit im Monat 7,91 € pro Stunde. Also weniger als der Mindestlohn.
Man kann sich auch anders organisieren. Hartz IV lasse ich mal aus, weil man da einen Haufen bürokratischen Aufwand hat und Leute sowie Räumlichkeiten kennenlernt, die man besser nie gesehen hätte.
Die Basis jeder kleinen Existenz ist ein Minijob von 450 €. Da zahlt der Arbeitgeber die Steuern, Brutto ist also gleich netto. Für diese 450 € muß man etwa 2,5 Stunden Arbeit am Tag rechnen. Die zweite Säule der prekären Freiheit ist eine Minilandwirtschaft, also ein paar Beete, Obstgehölze und ein paar Kleintiere, egal ob Hühner, Schafe oder Karnickel. Ich rechne mal mit einem Jahresertrag von 3.000 €, die man nicht versteuern muß. Wenn man das Zeug kaufen müßte würde das 6.000 € aus dem Bruttoeinkommen kosten. Zeit braucht das etwa eine Stunde am Tag. Von November bis April kann man sich täglich eine Stunde mit dem Holzmachen für Ofen und Herd vertreiben. Das spart nochmal etwa 1.000 € Ausgaben für das Heizen. Alkohol kann man als Hauswein selbst herstellen. Der zeitliche Aufwand ist etwa eine Stunde pro Flasche. Vier Ballons sind etwa 85 Flaschen Wein. Das bringt eine Ersparnis von etwa 340 €. Eine gute Investition für Raucher ist das Abstellen der Nikotinsucht. Wer eine Schachtel Marlboro am Tag nicht raucht, kann monatlich 166 € sparen.
Dem fleißigen angestellten Beschäftigten waren 1.265 € netto monatlich verblieben. Davon ziehen wir also um zu vergleichen die obigen Positionen ab. 450 € für den Minijob, 367 € für Landwirtschaft, Alkohol und Heizung und 166 € für Zigaretten. Mit einem Einkommen von 450 € braucht man die Rundfunksteuer nicht bezahlen. Das sind 18 €. Es verbleibt eine Differenz von 270 € zum Nettodurchschnittslohn. Die verdient ein Schwarzarbeiter ungefähr in 30 Stunden.
Zugegeben, hier wurden Äpfel mit Birnen verglichen. Der eine hat den Genuß des Rauchens, der andere muß darauf verzichten. Der eine wird vermutlich etwas mehr Rente erhalten, als der andere. Und von den 450 € Minijob gehen wieder Umsatzsteuern und Verbrauchssteuern ab, wenn man das Geld ausgibt. Und man ist natürlich flexibler, wenn man mit Geld statt mit Naturalien wirtschaftet. Die Geldwirtschaft war ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Aber die Grundaussage dieses Vergleichs ist trotzdem richtig: Die angestellten sozialversicherungspflichtigen und steuerpflichtigen Arbeitnehmer sind durch eine in letzter Zeit stark anwachsende indirekte Besteuerung von inzwischen 15 % eigentlich auf Prekariatsniveau abgerutscht, werden vom Staat regelrecht ausgeplündert.
1970 betrug der durchschnittliche Bruttolohn in Deutschland West 1.000 DM (511 €) im Monat, heute 2.591 €, er ist also auf das 5,1fache gestiegen. Die Sozialabgaben betrugen 1970 ganze 13,25 %. Der Arbeitnehmer mit Durchschnittslohn bezahlte damals 68 €, 2013 waren es schon 20,18 % = 523 €. Das ist das 7,7fache von 1970. 1970 nahm der Fiskus 18 Mrd. € Lohnsteuer ein, 2013 waren es in den westlichen Bundesländern 130 Mrd. €. Das ist das 7,2fache. Sowohl die Lohnsteuer als auch die Sozialabgaben haben sich wesentlich dynamischer entwickelt, als die Bruttolöhne. Die Nettolöhne sind deshalb wesentlich weniger gestiegen als das Brutto.
Dieselbe ungebremste Dynamik bei der indirekten Besteuerung: 1970 betrug der Regelsatz der Umsatzsteuer 11 % statt jetzt 19 %. Die Stromsteuer, die Zwischenerzeugnissteuer, die Rundfunksteuer, KWK und EEG sowie die Maut gab es 1970 noch nicht. Die Tarife der Lohnsteuer, der Tabaksteuer und der Mineralölsteuer waren wesentlich niedriger als heute. Kurz, der größte Teil des Lohnzuwachses von 1970 bis heute landete beim Finanzamt und bei den Sozialkassen. Der Rest wurde von der Inflation aufgefressen, aber das ist ein eigenes Thema.
Die deutsche Finanzpolitik - egal ob schwarz oder rot - ist dabei die Anreize für regelmäßige und sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu verringern. Und zwar mit beängstigender Dynamik. Die ersten Leute reagieren bereits mit neuen Aussteigermodellen. Und das sind nicht alles Spinner. Ein Zitat von Präsident Lincoln ist in folgender Abwandlung zeitgemäß: Man kann alle Leute für einige Zeit verdummen. Einige Arbeitnehmer kann man auch für alle Zeit betrügen. Aber man kann nicht alle Leute für alle Zeit für dumm verkaufen.
Der Autor ist Betreiber von Prabels Blog. Letzte Einträge betrafen die politisch korrekte Berichterstattung über Kinderschänderei und Lastfahrräder mit Elektroantrieb.
8 Kommentare
Die Einkommens- und Vermögensschere weitet sich immer mehr auf, wie im Artikel dargelegt.
Für den Durchschnittsverbraucher ergibt sich demnach ein noch geringeres frei verfügbares Einkommen.
Vor kurzem wurde ernsthaft empfohlen alle Steuern für Unternehmen auf Null zu senken, warum nicht auch gleich für die Einkünfte derDurchschnittsverdiener?
Der Haken an der Geschichte ist halt, Banken werden "gerettet" - wer rettet die Menschen für die ja der Erwerbszirkus läuft?
PS: Klar der letzte Satz war ironisch gemeint und ich hoffe sehr, daß sie keinen schlechten Eindruck von mir haben.
Die Hälfte an Sozialkosten in den Arbeitskosten würde einen riesen Konjunkturschub bringen!
Mit welcher Berechtigung zahlen hohe Gehälter keine Sozialabgaben mehr? (das Schnitzel und der Anzug kosten für die Hochverdiener das Gleiche!) Die Gesamtkosten unserer sozialen Absicherung wird also nur von der Gehaltsumme unterhalb der Beitragsbemessungsgrenzen getragen. Eigentlich eine eklatannte Grundrechtsverletzung!
Jeder der schonmal in die Kosten- u. Leistungsrechnung eines Betriebes reinschnuppern durfte, weiß dass es nicht aus der Luft gegriffen ist wenn man annimmt, dass der Betrieb das 1,8-fache des Bruttolohns für den AN aufwenden muss. Mit dieser korrekten Betrachtungsweise werden dann aus rd. 50% Abgabenlast ganz schnell mal über 70%.
ich freue mich über jeden Einwurf. Wenn man auf zwei Seiten ein komplexes Thema behandelt, kommt es immer wieder zu Ungenauigkeiten und Verkürzungen, was Ihr jetzt aufdeckt! Bleibt immer kritische und gewogene Leser!
Und bei der Rente wird für die heutige Generation sowieso nichts rauskommen. Nach der Rürup-"Reform" 2003 bekommen die Wasserträger real immer weniger raus, während die Beamten, die gar nichts einzahlten, erhalten weiter ihre ca. 85 % des Erwerbseinkommens als Pension.
Also - falls möglich - lieber innerlich erfüllte Selbstversorgung als fremdbestimmter Streß im Hamsterrad. Bankbesuche und Zinsen vermeiden! Sinnvoll ist auch wie bei mir ein Pfändungsschutzkonto sowie ein Eintrag im Schuldnerverzeichnis, dann braucht man auch keine Knöllchen zu zahlen und Rundfunkbeiträge. Allerdings besteht dann das Problem der mangelnden Kreditkarte bei der Autoanmietung im Ausland.
(Ich habe auch den Eindruck, dass junge Männer lieber auf Frauen verzichten als fremdbestimmt zu arbeiten und für ihre Bedürfnisse zu malochen.)
Man kann dann mit sehr wenig Geld auskommen. Ich habe z. B. 8 veredelte Walnüsse aus dem Jahr 1993, die wunderbar tragen. Ich muß jetzt jeden Tag in dem eingezäunten Grundstück ernten. Morgens esse ich Haferflocken (Kosten pro Packung 0,39 Euro) mit Milch und Walnüssen sowie Obst (Birnen und Äpfel). Dadurch gebe ich ca. 9 Monate lang im Jahr fürs Frühstück fast gar kein Geld aus.
Wie man sieht, kann man sich bei uns auch gut ohne harte Arbeit helfen, vor allem muß man nicht Satanas, als Metapher verstanden, löhnen.
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